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Der Einfluss Sachsens auf das russische Montanwesen reicht bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts zurück, nachdem Peter der Große anlässlich seiner ersten Visite bei August dem Starken im Jahre 1698 um Hilfe ersucht hatte. Russland brauchte dringend Fachleute des Berg- und Hüttenwesens, um die zahlreichen Rohstoffquellen zu erschließen und lockte mit guten Arbeits- und Lebensbedingungen. Zahlreiche Spezialisten wie auch Lehrer und Verwaltungsfachleute machten sich bald auf den Weg von Sachsen nach Russland. Der Beitrag beschreibt die Besonderheiten dieses Prozesses, dem zugleich ein umfangreicher Transfer von Wissen und Technologien folgte.
Gern nimmt die moderne Terminologie den Begriff Hightech zur Hand, um wissenschaftlich-technische Meisterleistungen zu deklarieren; deshalb scheint er uns bei Mikroprozessoren aus Silicon-Valley, künstlichen Hüftgelenken, Herzschrittmachern und Magnetschwebebahnen mehr als vertraut. Vollkommen andere Perspektiven ergeben sich allerdings bei einer Projektion in die Vergangenheit und unter Einbeziehung gesellschaftlicher Entwicklungsniveaus verschiedener Kulturen. Fortschrittszentren nannte man derartige Standorte am Beginn der naturhistorischen Evolution des Menschen, wenn sie sich von Umgebendem unterschieden und sich durchzusetzen vermochten. Neuartiges gelangte auf diese Weise zur Entfaltung, brachte schließlich Technik und Wissenschaft hervor und differenzierte die geographischen Räume. Beim Eintritt in die Neue Zeit zeigten sich die Konturen zunehmend klarer: Zunächst steht Deutschland an der Spitze Europas, sodann folgt Holland als kapitalistische Musternation des 17. Jahrhunderts, schließlich entscheidet sich England in der Mitte des 18.Jahrhunderts für die Maschine und wird durch Hightech zur Werkstatt der Welt.
Russland war zu Beginn der Neuzeit vom westlichen Einfluß noch weitestgehend isoliert und hat diesen nur mit Verzögerung erfahren. Die vorherrschende byzantinische Kultur und die russische Orthodoxie beförderten eher Mystisches und Wundergläubigkeit, gleichermaßen konservierte die jahrhundertlange Mongolenherrschaft die gesellschaftliche Isolation, unterdrückte Freiheit und Souveränität des Geistes. Die Hinwendung zum weltlichen Denken und zur rationalen, naturwissenschaftlichen Weltbetrachtung, im Morgenrot der Renaissance von vielen Ländern willkommen geheißen, hatte somit kaum eine Chance. Dauerhaft wollten sich die russischen Herrscher jedoch europäischem Einfluß nicht entziehen und öffneten ihr Land deshalb schrittweise für jene, die Ansehen und Macht zu befördern versprachen. Kompetente Fachleute aller Couleur waren deshalb gern gesehene Gäste, verfügten sie doch über den gewünschten Vorlauf hinsichtlich höherer Bildung oder gediegener handwerklicher Fertigkeiten
Mit dem Regierungsantritt von Zar Peter I. (der Große, 1672-1725) im Jahre 1689 begann das Hineintreten Russlands in das Feld der europäischen Politik und damit der entscheidende Durchbruch. Denn auf dem Programm des gigantischen Reformwerkes, das zum Aufstieg des Zarenreiches zu einer europäischen Großmacht führte und unter Katharina II. (1729-1796) seine Konsolidierung erfuhr, standen nicht nur die Etablierung großzügiger Bildungsstrukturen, sondern auch eine intensivere geologische Erkundung und die bergmännische Erschließung weiter Teile des Landes. In Sachen Bildung war Peter I. weitestgehend den Reformvorschlägen Gottfried Wilhelm Leibniz‘ (1646-1716) gefolgt, der sich über Jahrzehnte mühte, seinen Russlandplänen Gestalt zu verleihen. Obwohl er Russland zunächst als barbarisch und ohne Interesse für den europäischen Kulturkreis ansah, schien er bald die gewaltigen Zukunftskräfte geahnt zu haben, verwies deshalb auf das allem eigene lumen internum, das es durch die propagatio per scientias zu erwecken gelte, um das weltumspannende Reich des Geistes, die res publica litterarum, zu bauen und zu mehren. In diesem Sinne verstand er die Ausbreitung der Wissenschaft auch als Ausdruck des um sich greifenden Säkularisierungsprozesses. Diese eher philosophisch geprägten Sentenzen nahmen bald konkrete Gestalt an, zumal er Russland auch eine besondere weltgeschichtliche Mission hinsichtlich einer Verbindung zwischen China und Europa zuwies. So sammelte er nicht nur Belege für die erstrebte Ost-West-Verbindung – wichtig war ihm beispielsweise der Friedensschluss zwischen Russland und China, der zu Nipchou (Nertschinsk) im Jahre 1689 stattfand –, sondern auch geographische und ethnologische Belege von Reisenden, Sprachproben russischer Volksstämme und unterschiedlichste historische Daten. Und in einer General-Instruktion der am 11. Juli 1700 in Berlin gegründeten Kurfürstlich-Brandenburgischen Societät der Wissenschaften, dessen erster Präsident Leibniz war, wurde mit Nachdruck vermerkt: „Es ist bekannt, in was für einem besonderen guten Vernehmen Wir mit dem Moscovitischen Zaren stehen, und wie dieser Fürst zu denen Natur- und Kunstwerken, sonderlich aber zu der Schifffahrt große Lust bezeiget. Weilen nun derselbe wegen seiner großen Macht und weitläufftigen Lande zu Unserm durch der Societät Aufrichtung abzielenden gemeinnützigen Zweck ein Großes beytragen kann, so wollen wir bedacht seyn, wie deswegen mit diesem Monarchen bey Gelegenheit Handlung gepflogen und dienliche Anstalt gemachet werde, dass von denen Grenzen unserer Lande an bis nach China nützliche Observationes astronomicae, geographicae, daneben nationum, linguarum et morum rerumque artificialum et naturalium nobis incognitarum und dergleichen gemachet und der Societät zugeschickt werden.“1